Da ich selber hin und wieder am Strassenstrich anschaffen gehe und mittlerweile mit einigen Sexarbeiterinnen gesprochen und vieles beobachtet habe, kann ich sagen, dass es ganz verschiedene Motive gibt, sich am Strassenrand anzubieten. Dass die Frauen von brutalen Zuhältern gezwungen werden, ist ein altes Klischee, das vielleicht in einzelnen Fällen zutreffen mag, genauso wie auch in anderen Jobs, wo Frauen von ihren Männern gezwungen oder von ihren Chefs erniedrigt werden. Das Problem dabei sind die patriarchalen Strukturen, die in unserer Gesellschaft noch immer verbreitet sind und durch fremde Kulturen hier wieder stärker aufblühen. 
Den Strassenstrich finde ich überhaupt nicht unterste Schublade. Es ist aus meiner Sicht eine sehr direkte und auch natürliche Form, sich anzubieten, ohne abkassierendes Bordell und ohne dauernde WhatsApp mit Typen, die alles wissen wollen und dann doch nicht erscheinen. Am Strassenstrich sind Anbieterin und Kunde im direkten Gespräch, kein fake, es wird kurz verhandelt, beide haben die Möglichkeit nein zu sagen. Danach geht es nur noch um die reine Kopulation, was meistens rasch erledigt ist und die Anbieterinnen müssen sich nicht noch die ganzen Geschichten der Männer anhören. 
Wegen Hygiene und Feuchttüchlein: viele Männer suchen genau deswegen den Strassenstrich auf, weil es sie fasziniert, dass die Sexarbeiterin vorher einen anderen hatte und vielleicht sogar noch etwas danach riecht, statt nach Duschgel und Bodylotion. Ich kenne Kunden, die kommen absichtlich erst gegen Schluss, weil sie dann davon ausgehen können, dass andere den Körper bereits benutzt haben.
Dass Frauen einfach nur schwach und von den Männern abhängige Wesen sind, ist eine chauvinistische Ansicht. Es gibt Frauen, die entscheiden sich ganz bewusst für Sexarbeit. Einige mögen sogar den Sex mit unbekannten Männern und es gibt ihnen ein gutes Gefühl, wenn gleich der nächste anhält, kaum haben sie den letzten bedient. Und viele Frauen lassen sich lieber von vier, fünf Kunden am Abend ficken, statt stundenlang WCs zu putzen, wo Männer zuvor im Stehen uriniert haben und alles gelb verspritzt ist. Bei vielen anderen Jobs ist die Erniedrigung viel grösser als auf dem Strich.
Ich denke, dass wir hier nicht aus der Ferne und aufgrund von Blick-Artikeln urteilen können, wie es den Frauen am Strassenstrich geht. Jedenfalls habe ich in vielen Kantinen von Betrieben, wo ich gejobbt habe, weitaus deprimierte Frauen gesehen, als im Pausenraum am Strassenstrich.
Ich plädiere dafür, dem Strassenstrich einen höheren Stellenwert zu geben und diese Arbeit und die Arbeiterinnen mehr zu achten, so dass vielleicht wirklich auch mal ein paar Studentinnen oder gut gebildete Frauen dies als lukrativen Nebenjob machen.