Was im Western der häufige Pistolengebrauch ist im Porno der permanente Schwanzgebrauch. Statt einer Kugel zielt Sperma auf den Körper. Die dramaturgische Konzeption ist absolut vergleichbar. Die Aufmerksamkeit für Mord und Sex in der Gesellschaft sind es ebenso. In einer migrationsschwangeren Gegend Berlins, wo man als Deutscher schon aus Anstand den Ladenbesitzer mit „Merhaba“ begrüßt, befindet sich ein Kino, das eine Kurzfilmmischung für die ganze erotische Familie verspricht. Im Werbetext tönt es, dass die gesamte Bandbreite des hetero-, homo- und transsexuellen Begehrens gezeigt werde, mal konventionell, mal experimentell expliziten Sex, wobei es zu reflektierten Sichtweisen auf die Pornoindustrie oder schlicht zu lustigen Einfällen rund ums Thema Geschlechtsverkehr käme. Das wollte ich mir mal ansehen. Die Kartenreservierung übers Netz funktioniert grandios, wobei sogar ein konkreter Platz anklickbar ist.

In der Urbanstraße kommt mir auf dem Fahrradweg ein alkoholisierter Treteselverkehrsteilnehmer entgegen, der mir ausweicht und aufgrund mangelnden Koordinationsvermögens gegen eine Hauswand fährt. Wobei ihm sein Bierkasten vom Gepäckträger fällt, sodass er sich wenige Augenblicke später in einer biergeschwängerten Wolke auf dem Gehsteig wieder findet und mit sich selbst schimpft. Was man so alles erlebt, nur wenn man nach Kreuzberg radelt. Irre. Im Foyer des Kinos angekommen, suche ich mir ein ruhiges Plätzchen, um die Leute zu beobachten und amüsiere mich über deren Schwierigkeiten das geschlechtsspezifische Klo zu finden. Auf den Eingangstüren zu den Örtlichkeiten prangen Filmplakate mit dem versteckt handtellergroßen Zusatz Mädchen- bzw. Männertoilette. Das muss man erst mal entdecken. Kommentar einer Suchenden: „mein Gott ist das kompliziert, das Richtige zu finden. Ich bin ein Mädchen“, sagt sie mit Blick auf die Namensgebung der Tür in gespielter Naivität, währenddessen sie ihrem Freund augenklimpernd anschaut, der sich nur mühsam über das Bedürfnisanstaltsquiz des Kinos freut, weil er selbst dringend mal muss, sie ihn jedoch zum Aufpassen des Rucksacks abkommandierte.

Moderiert wird der Kleinstkino-Event von der Journalistin Manuela Kay, die sich bei mir für ihren Vergleich zwischen Western und Porno, den ich oben in adaptierter Form bereits erwähnte, langfristig einen Platz im Gedächtnis sicherte. Insgesamt stehen zwölf Kurzfilme auf den Programm, die zwischen drei und dreißig Minuten lang sind. Das Publikum besteht aus einer schwul-lesbischen Mischung mit einigen heterosexuellen Grautupfern. Als Vertreter der Ü40-Generation gehöre ich im Raum zu den Außerirdischen, denn es sind überwiegend nur sehr jungen Leute anwesend, die sich mit Bionade und Bier auf den Pornoabend einstimmen. „Ich verbringe das ganze Jahr damit, Pornos zu schauen“, gesteht uns Manuela Kay in einer launigen, humorvollen, von Fachkenntnis und Selbstbewusstsein geprägten Begrüßung, die sehr unterhaltend ist. In Trainingsjacke und verwaschenen Jeans bezeichnet sie das heute Gezeigte als Anfängerprogramm für Pornojungfrauen, da man gleich überhaupt keinen Geschlechtsverkehr zeige. „Habt ihr vorher gedacht, ihr müsst zwischen alten, schmutzigen Männern in muffigen Regenmänteln sitzen? Seht ihr, ist gar nicht so schlimm und ich verspreche euch, es tut auch garantiert nicht weh.“

Kurzkritiken zu den Kurzfilmen:

1. In nur vier Minuten überredet dieser Film Frauen es sich mit dem Lesbischsein, wenn es denn irgendwie machbar scheint, doch noch mal zu überlegen. Eine singende Performance einer Übergewichtigen und einigen normalgewichtigen Lesben, die in unattraktiver Reizwäsche zu gewöhnungsbedürftigem Singsang tanzen. Angeblich eine lesbische Hymne. (In your face)

2. Vier Personen sitzen an einem Tisch, verziehen keine Miene und sagen ihren vorher einstudierten Pornodialog auf. Nach vollbrachter Pornosprechübung, einer Art Trockenschwimmen, rauchen sie die berühmte Zigarette danach. Nicht unkomisch. (Pornographic Apathetic)

3. Gezeichnete Phallus- und Vaginasymbole auf Toilettenwände werden bestenfalls zweitklassig animiert und laufen dann die meiste Zeit voneinander weg. Der tiefere Sinn erschloss sich mir einfach ist. (Super Dong)

4. Dieser schmierige Gassenhauer, es könnte sich auch um einen schnulzigen Schlager handeln, würde wohl niemals weiter ins Kalkül fallen, wenn da nicht die Textzeile „do you take it in the ass“ wäre. Die Besucher eines Restaurants wünschen sich einmal Arschfick auf Haus. Die anderen Gäste erfreut’s. (Do you take it)

5. Die gefakte Dokumentation möchte so gewollt komisch sein, dass es einem die Tränen der Verzweiflung in die Augen treibt. Den rein fiktiven asiatischen Pornostar Dick Ho porträtiert der leider längste Film, indem er echte weibliche Altpornostars interviewt. Die erzählen wahrheitsgemäß etwas über sich selbst („Nach meinem ersten Pornodreh schau ich mir den Film im Kino an. Ich sehe meine Pussy in Nahaufnahme … so groß und ich war so stolz.“) und schauspielern über ihre angeblichen Begegnungen mit dem legendären Pornodarsteller Dick Ho, den es in Wahrheit natürlich gar nicht gibt („Ich habe schon viele Schwänze gesehen, der Dick-Ho-Schwanz war der Größte und glauben Sie mir, ich habe echt viele davon gesehen“). Leider beweisen die weiblichen Altpornostars ihr äußerst begrenztes schauspielerisches Talent, sodass die Sache von Aussage zu Aussage nicht immer komischer sondern lediglich immer peinlicher wird. (Dick Ho)

6. Eine rotbebrillte Rothaarige im hautengen Latexkleid, es handelt sich um die Domina Philly, holt Gemüse aus ihrem Reisekoffer, versklavt Karotten und Rüben indem sie auf sie einschlägt und ihnen den Tod wünscht. Das Mädchen hinter mir fand’s komisch. (Philly dominates vegetables)

7. Ein nackter Mann macht undefinierbare Knarkgeräusche ohne dass sich ein Mehrwert erkennen ließe. Vielleicht ein wenig schmalspurig gedacht, mit einer einzigen Idee nervtötende vier Minuten zu füllen. (Karaoke Show)

8. Puppensex in Märchenkulisse. Ziemlich abgefahren spielt er mit den Stereotypen des Pornofilms und nimmt ihn durchaus gelungen aufs Korn. Die originelle Umsetzung überzeugt. Der sehenswerteste Film des Abends. (Blindness of the Woods)

9. Die Pornoindustrie befindet sich aktuell bekanntlich in einer schweren Krise. Wo könnte die Zukunft liegen? Die Antwort: Ökosex. Da sollte man unter Umständen privat zu übergehen, weil man beim Ökosex seinen Sexpartner nach Gebrauch einfach in der Mülltonne entsorgen kann. Und wer wünscht sich das nicht manchmal. Ökosex meint einfach nur Sex mit Lebensmitteln. Und so kümmert sich in diesem Film eine Frau sehr fürsorglich um Bananen, Würste und zwar exakt auf jede Art, wie sie mit dem männlichen Glied umspränge. Man kann sich ein Grienen einfach nicht verkneifen. (Filthy Food)

10. Ein Zeichentrickfilm, in dem ein Butler sein zu betreuendes Ehepaar nicht nur hauswirtschaftlich zur Hand geht. Das hat in der Herstellung sicher viel Arbeit gemacht, aber die Story plätschert so seicht dahin, dass der Kinosaal in gemeinschaftliches Gähnen überging. (Butler)

11. Die erste Erektion auf der Kinoleinwand. Mitten auf dem grünen Rasen penetriert ein Versteifter die Mutter Erde. Natürlich nicht ohne sich vorher ein Kondom überzuziehen. Sein Ejakulat spritzt er dann in ein Erdloch und buddelt es zu. Was will uns der Künstler damit sagen? (Safe Sex Ritual)

12. Und zum Schluß noch mal die lesbische Gruppe aus dem ersten Film. Diesmal treten sie in weißen T-Shirts und weißer Unterhose auf, vollführen dazu akrobatische Bodenturnübungen, die der wummernden Hintergrundmusik einen Rhythmus vorgibt. Vielleicht müsste ich lesbisch sein um zu verstehen, was daran reizvoll ist. (Lesbian Gymnasts in the USSR)

Die Moderatorin Manuela Kay schlägt nach meinem Geschmack am Ende ein wenig zu kräftig auf die Werbetrommel für das demnächst startende Pornfilmfestival. Allerdings machte mich das Oben-Ohne-Armdrücken sowie das Nacktrauchen, was auf der Festivalparty im Monsters Ronsons stattfindet, dann doch neugierig. Die Kinobesucher lädt Frau Kay dann in die angrenzende Lounge ein, wo sie eine kostenfreie Apfelsaft- oder Sekt-Flatrate für alle anbietet. Apfelsafttrunken schwinge ich mich kurze Zeit später auf mein Fahrrad und hoffe, den Häuserwänden ausweichen zu können.

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