Fernsehkritik: „Sie tun es noch – das intime Leben von Frauen über 65“ (arte)
Allein die Vorstellung, dass die eigenen Eltern Sex miteinander haben könnten, jagt dem erwachsenen Nachwuchs mitunter ein Schauer voller Abscheu über den Rücken. Dabei hat man ja genau genommen exakt diesem Umstand das eigene Leben zu verdanken. Noch weniger wissen mag man freilich von der Tatsache, sogar die eigene Oma täte es. Immer noch, Oma? Muss das denn sein?
Die Dokumentation deckt zunächst auf, dass Frauen statistisch länger sexuell aktiv blieben als Männer. Und das es wohl erstmalig in dieser Silber-Generation Menschen gibt, die den Mut finden, darüber öffentlich zu reden. Natürlich ist ein solches Thema ein Fall für den Kulturkanal Arte, also etwas für ein Randpublikum. „Nach vielen Jahrzehnten Ehe beginnt man sich irgendwann tatsächlich zu lieben, trotz der ganzen Fehler des Partners, nur der Sex wird eben weniger wichtig.“ Ein Professor doziert vor dem heimischen Bücherregal sitzend, dass Erotik zu der wichtigsten Entwicklungsarbeit zähle, die ein Individuum für sich leisten könne. Sexualität manifestiere, wie man die Präsenz seines Körpers in der Welt bestätige. Weniger professoral könnte man sagen, dass das Entdecken, Akzeptieren und Ausleben der eigenen Sexualität entscheidend zur Ausbildung der Persönlichkeit beiträgt. Herrje, das klingt ja jetzt fast noch eine Portion altklüger.
Eine stark berlinernde Fotografin knipst einen nackten alten Mann und gibt danach mit zerfurchter Stirn zum Besten: „Is ja nich wichtig, wat det für een Körper is.“ Hmm, meint sie jetzt, Hauptsache die Kohle stimmt, oder meint sie, sorry, als lesbische Frau interessiert mich weder eine knackiger noch ein labbriger Männerkörper.
„Ich bin scharf ohne Ende“ exhibitioniert sich sprachlich eine 73-jährige Grauhaarige und schaut dabei so unglaublich ernst drein. Das sexuelle Verlangen steigere sich nach der Menopause, soviel sei ja wohl schon mal klar. Tja, und dann erfahren wir von vielen Frauen im Rentenalter wie sie vor Kurzem noch mal neu erotisch durchstarteten. Eines scheint klar, Männer mit Adipositas, Polyesterhosen und ausgelatschten Turnschuhen haben keine Chance – falls nur das zur Auswahl stände, würden die interviewten Frauen eindeutig die Selbstbefriedigung favorisieren. Wie es bei alten, pardon, wie es bei älteren Menschen üblich ist, genehmigt man sich gerne den Blick zurück. Und bekanntlich war früher alles besser? Nein, die Damen wissen differenziert zu berichten. Sei es in den Fünfzigern noch spießig gewesen, in denen man eben zu Hause blieb und brav heiratete, so habe in den Sechzigern die sexuelle Revolution alles zum Besseren verändert. „Damals saßen die Leute nicht wie heute ständig vor dem Fernseher, sondern wir waren auf Happenings und hatten Sex mit ganz vielen unterschiedlichen Leuten.“
Es leben mehr Ü70-Frauen als Ü70-Männer im Land. Und da die Männer die Tendenz haben, im Alter feste Haut zu bevorzugen, verschärft das noch das Ungleichgewicht. Ein satter 40 Jahre jüngerer Mann begründet seine Entscheidung für die Faltenvariante: „Ich bekomme bei ihr viel mehr als belanglose Äußerlichkeiten.“ Und sie berichtet von ihren anfänglichen Bedenken, sich mit einem so viel jüngeren Mann einzulassen: „Ich, mit meinem alternden Körper, neben diesem schönen Körper … und ich werde mich vor ihm ausziehen müssen. Das dachte ich am Anfang. Und ich denke es manchmal heute noch. Aber da muss ich durch.“ In der Tat sind diese Paarkonstellationen, also das sie sich einen wesentlich jüngeren Lover sucht, eher selten. Es sei denn, sie ist reich. Dann gibt es sowas schon öfter. Und warum sich Frau wie Mann so problemlos in einen finanziell großzügigen und gut situierten Typen zu verlieben vermag, hat seine Gründe wohl in der abgrundtief käuflichen Seele der meisten Erdenbewohner.
Auf die schüchterne Frage, ob es denn schwierig sei im Alter einen Partner zu finden, antwortet sie keck: „Nein, überhaupt nicht. Männer sind doch wie Straßenbahnen. Wenn du eine verpasst, kommt gleich die Nächste.“ Ihr Sex sei jetzt viel spielerischer, es werde immer gelacht und wenn er es mal nicht bringt, also nicht mal mit der Zunge, dann gäbe es ja Gott sei Dank noch Vibratoren. Eine farbige Frau bringt es auf den Punkt: „Mein verstorbenen Mann? Ein Kuss und dann rein. Der hatte gar keine Ahnung. Meine heutigen Liebhaber haben mehr drauf.“
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