Berlin. Am Bahnhof Zoo bekommt der ausgeraubte Tourist wie der Hauptstadtobdachlose in der Bahnhofsmission einen tröstenden Kaffee mit belegten Brötchen. Kostenlos. Die Gegend strahlt den Charme der Sechziger Jahre aus und riecht leider auch ein wenig so. Momentan baut just an diesem Ort der Verlierer das Luxushotel Waldorf-Astoria einen gigantischen Hochhauskomplex und wird damit Nachbar vom Erotikmuseum von Beate Uhse, in dem heute die Lesung eines Journalisten stattfand, der ein Buch über das Ach und Weh an deutschen Pornosets schrieb. Die Bilder zu den Worten braucht man sich nicht in der Phantasie ausmalen, denn ein Fotograf durfte das Geschilderte mitknipsen. Eine Vernissage der besten Szenenfotos offeriert die Bar im Erotikmuseum. Kostenlos.
Diese Lesung zwingt mich seit gut zehn Jahren erstmals wieder einen Sexshop zu betreten und ich bemerke, dass sich die käufliche Beate-Uhse-Erotikwelt seit damals komplett veränderte. Hier findet man keine einsamen Männer, die verschämt in abgegriffenen Hochglanzmagazinen blättern. Die überwiegende Kundschaft besteht aus Paaren, die sich bar jedes Peinlichkeitsgefühls über die neueste Dildogeneration informieren und sogar die Verkäuferinnen nach den Vor- und Nachteilen im Alltagsgebrauch befragen. Ich war baff. Die Atmosphäre im Sexshop ist hell, sauber, freundlich, angenehme Hintergrundmusik, als ob man bei H & M ein Paar Socken einkaufen ginge. Die Preise sind moderat und hinter der offenen Verkaufstheke stehen ausnahmslos Frauen im Poloshirt und Jeans mit Unternehmenslogo. Von Männern im hochgeschlagen Mantelkragen, die die Attitüde eines Exhibitionisten ausstrahlen, keine Spur. Ich werfe einen Blick in die neueste Generation der Videokabinen, von denen nicht eine einzige besetzt ist, die mit derart vielen Bedienelementen ausgestattet ist, dass ich mich als Neuling überfordert fühle und überzeugt bin, dass man alleine um diese Programmsteuerung zu verstehen studiert haben muss. Auf einem zentral sich im Raum befindlichen Vorschaumonitor kann man seinen Lieblingsfilm zwischen den Kategorien A wie Amateur bis Z wie Zeichentrickfilm wählen, wobei man nicht nur das Filmcover als Entscheidungshilfe gezeigt bekommt sondern sogar noch eine Szenenvorschau mit mehreren Einzelbildern. Dezente Piktogramme weisen einen vor dem Betreten einer Videokabine darauf hin: Rauchen ist streng verboten, Wichsen hingegen erlaubt.
Das Erotikmuseum lohnt den Besuch nicht. Allerdings eignen sich zwei Exponate, um die Fähigkeiten und Kenntnisse einer frischen Eroberung zu testen. Findet meine Partnerin auf Anhieb die Prostata an dieser Puppe? Findet mein Partner auf Anhieb den G-Punkt an der anderen Puppe? Bitte drücken Sie jetzt! Wer den richtigen Punkt fand, wird mit Tonbandstöhnen belohnt. Im ersten Stock hat man in der hausinternen Bar die heutige Lesung, sagen wir es freundschaftlich, recht improvisiert vorbereitet. Zweiundzwanzig Szenenfotos hängen dort im DIN-A2-Format, wobei der Fotograph aussagekräftig, doch dabei niemals vordergründig, das Treiben festhielt. Das ist gut gemacht. Da man die Happy-Hour der Bar zum Lesungsbeginn für eröffnet erklärt, zahle ich für ein Bier statt 2,50 Euro nur 1,00 Euro. Es haben sich lediglich 8 (in Worten: acht) interessierte Zuhörer eingefunden. Da die Happy-Hour offensichtlich für die graumelierte Schwulenfraktion als kostengünstiger Treffpunkt fungiert, sitzen mehr einsame Männer einsam vor ihrem Ein-Euro-Bier als sich um den jugendlich-sympathischen Autor scharen, der das investigative Werk über die deutsche Pornolandschaft schrieb. Da sich mit steigendem Alkoholpegel die einsamen Männer untereinander brummig bis lautstark zu unterhalten pflegen, wechselt unsere kleine Zuhörergruppe kurzerhand in den separaten Raucherraum, auf dem grotesker Weise steht: „Kein Zutritt für Jugendliche unter 18 Jahren“. Was insofern ein merkwürdiger Hinweis ist, weil man ja streng genommen ohnehin erst als Volljähriger die Örtlichkeiten betreten darf.
„Wer sind eigentlich die Macher“, eröffnet launisch und sofort für sich einnehmend der Autor seine Intimflüsterung, bei der er ein umfassendes Bild abzugeben versuche, was in Deutschland in Punkto Pornographie los sei. Er liest ausschnittsweise aus drei Kapiteln, bei denen er jeweils seine atmosphärischen Erlebnisse von den Besuchen am Pornoset schildert, wobei er einen Hang zu den Skurrilitäten beweist, die – das darf ich als regelmäßiger Teilnehmer an Bukkake-, Gangbangveranstaltungen und Filmdrehs bestätigen – den eigentlichen Reiz an den zutiefst menschlichen Begegnungen ausmachen.
1. Beim Porno mit Vivian Schmitt, der letzten erfolgreich zum Silikonstar aufgebauten, deutschen Darstellerin, stellt der Autor fest, dass das schwache Glied in der Produktionskette der Mann sei. Die ausführliche Beschreibung, wie ein professioneller Pornodarsteller mit seiner Erektion kämpft, entbehrt nicht des aufkeimenden Mitgefühls und einer gewissen Komik.
Gelöst von seinem Buchmanuskript kommen fast alle Zuschauer mit dem Autor ins Plaudern und so erzählt er uns ein paar nette Anekdoten aus der Branche, vom den guten alten Pornokinozeiten, dem „Lass jucken Kumpel“-Porno, der in den Siebziger Jahren unglaubliche drei Millionen Menschen ins damals noch schmuddelige Erwachsenen-Filmatelier pilgern ließ. „Da gab’s noch Filme mit Haaren.“ Diese freien Diskussionen sind eigentlich mit die stärksten Momente des Events.
2. Im Kapitel Amateurpornographie schildert er mit so viel Liebe zum Detail und beeindruckender Stimmungsvermittlung von der Szenerie, dass man sich tatsächlich fühlt, als ob man gerade selbst dabei sei. „Das Geldverdienen gehöre für die Frauen irgendwie dazu, damit sie sich nicht als Schlampe fühle. Aber es geht diesen Frauen vor allem um die Freiheit, ihre sexuellen Phantasien auszuleben, die mit dem Partner vielleicht nicht realisierbar sind“, analysiert der Buchautor zutreffend. Frauen in dieser Branche, so verrät er auf Nachfrage, hätten in dieser Branche häufig eine „Verfallszeit“ von zwei bis drei Jahren. Wiederum folgt ein spannender Informationsaustausch mit intelligenten Fragestellungen, wobei der Buchjournalist keine Antwort schuldig bleibt und damit beweist wie tiefgründig er recherchierte.
3. Zu guter Letzt informiert er uns über das mehr als ungewöhnliche Geschäftsgebaren auf dem Pornoset bei John Thompson, der mit seiner Firma GGG Gesichtsbesamungsszenen und Urinspiele für den Mainstream herstellt. Was dort stattfinde könnt man als eine Art Travestie-Show (womit die vom Regisseur als Spritzer und Pisser bezeichneten männlichen Teilnehmer gemeint sind) gebändigt vom braungebrannten Marktschreier, dem Regisseur John Thompson, bezeichnen. Er habe sich selbst gefragt, warum sich das die Teilnehmer gefallen ließen. Die Männer bildeten so etwas wie eine Notgemeinschaft, die an etwas ganz Besonderen teilzunehmen glaubten.
Wer jemals einen Porno sah, der sollte dieses Buch gelesen haben.
Jede Wette, der Autor öffnet ihnen die Augen. Nebeneffekt: Sie werden vermutlich keinen Porno mehr ohne ins Schmunzeln zu kommen sehen. Denn Sie können sich nach seiner plastischen Beschreibung nun genau vorstellen, unter welch unerotischen Verhältnissen diese Sie da gerade erregende Szene entstanden sein muss.
Erotikmuseum Beate Uhse
Erotik Museum BerlinPorno in Deutschland: Reise durch ein unbekanntes Land
belleville Verlag Michael Farin