Gelesen im Bund vom 23.10.2008

Freier hat Prostituierte vergewaltigt

Ein 33-jähriger Berner wurde gestern vom Kreisgericht Bern-Laupen der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung einer Thailänderin schuldig gesprochen
Die Höchststrafe für sexuelle Nötigung und Vergewaltigung liegt bei 15 Jahren unbedingtem Freiheitsentzug. Nun wurde ein Berner für diese Delikte zu 22 Monaten bedingt verurteilt.
«Ich habe geglaubt, sterben zu müssen», sagte die aus Thailand stammende Prostituierte als Privatklägerin vor Gericht. Der Angeklagte hatte sich am 5. Mai 2007 um sechs Uhr morgens in ihren Salon in Bern begeben. Die Prostituierte verlangte 1000 Franken für fünf Stunden Liebesdienst, schliesslich einigte man sich auf einen Preis von 700 Franken. Da sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte, verlangte die damals 39-Jährige vom Freier, er solle im Voraus bezahlen. Daraufhin zückte dieser ein Messer und bedrohte sie damit. Er zwang die Frau während einer Stunde zu oralem Sex, Geschlechtsverkehr und weiteren sexuellen Handlungen.

Nur bedingte Strafe

Das Kreisgericht Bern-Laupen sieht diesen Tathergang als erwiesen an und befand daher den Angeklagten der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung für schuldig. Die Richter verurteilten ihn zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 22 Monaten. Der Klägerin sprachen sie zudem 12 000 Franken Genugtuung zuzüglich Zinsen zu. Ausserdem muss der Angeklagte die Anwaltskosten des Opfers sowie die Verfahrenskosten vollumfänglich tragen. Der Verurteilte hatte die Tat weitgehend bestritten; sein Verteidiger hatte auf 14 Monate bedingt wegen Nötigung plädiert. Der Staatsanwalt indessen hatte eine unbedingte Freiheitsstrafe von 4,5 Jahren wegen Nötigung und Vergewaltigung gefordert.

Nachlässige Polizei

«Erstaunt» zeigte sich Gerichtspräsident Jean-Pierre Vicari über das Verhalten der Polizei. Diese hätte weder den Blutalkoholwert des Verdächtigen ermittelt noch rechtzeitig eine Hausdurchsuchung bei ihm durchgeführt. Diese Unterlassungen sind «dem Gericht absolut unverständlich». Allem Anschein nach habe die Polizei den Fall nicht von Anfang an «mit der gebotenen Ernsthaftigkeit behandelt».
In der summarischen Begründung des Urteils erklärte der Gerichtspräsident, «wir glauben den Aussagen der Privatklägerin». Ihre Schilderung des Tathergangs sei «logisch nachvollziehbar». Zudem habe sie die Vorgänge detailreich beschrieben. Dadurch hätten ihre Ausführungen «wie etwas wirklich Erlebtes» getönt.

Unglaubwürdige Aussagen

Im Gegensatz dazu hätten die Ausführungen des Angeklagten «in mancherlei Hinsicht unglaubhaft» gewirkt. Offensichtlich bemüht, die Anschuldigungen zu entkräften, habe er sich «oftmals in Widersprüche verstrickt». Gerade in der Voruntersuchung habe er viele erlogene Geschichten aufgetischt: So habe er gar behauptet, dass sein Opfer eigentlich «ihn belästigt» habe.

Gerichtspräsident Vicari wies den Verurteilten darauf hin, dass die Höchststrafe für Vergewaltigung und sexuelle Nötigung bei 15 Jahren unbedingtem Freiheitsentzug liege. Die vergleichsweise geringe Strafe von 22 Monaten bedingt begründete Vicari mit diversen Faktoren: Erstens seien keine Tatbestände erwiesen, die als «grausam eingestuft werden müssten» wie zum Beispiel Würgen. Zweitens sei das Messer mit einer vermuteten Klingenlänge von vier Zentimetern «nicht als gefährlicher Gegenstand im Sinn des Gesetzes zu werten». Daher, und weil er das Messer «kontrolliert eingesetzt» habe, sei nicht davon auszugehen, dass der Täter «in Kauf genommen hat, das Opfer zu verletzen oder zu töten». Berufung gegen das Urteil müsste innerhalb von zehn Tagen beim Obergericht des Kantons eingelegt werden.

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Ich kann dieser Dame nur zu ihrem Mut gratulieren, den Gang zur Polizei und vor Gericht gewagt zu haben. Allzu oft, denke ich, bleiben solche Taten ungestraft, weil die Girls von Anfang an eine Anzeige als sinnlos erachten, da sie von den zuständigen Stellen als unglaubwürdig oder sogar selbst verschuldet hingestellt werden, was in diesem Fall das Verhalten der Polizei auch wiederspiegelt.
Unverständlich für mich ist auch die Milde des Urteils. Wie gesagt: eine gewisse „Selbstverschuldung „oder gar eine „selbstverschuldete Provokation“ zu einer solchen Tat seitens der Prostituierten scheint auch beim Gericht unbewusst präsent zu sein.

Quelle zum Bericht: http://www.ebund.ch/artikel_578479.html oder http://194.209.226.170/pdfdata/bund/2008/10/24/BVBU-021-2410-2.pdf